Streß aus der Sicht der Chinesischen Medizin

Bei Streß ist der Mensch einer physischen und/ oder psychischen Überlastung ausgesetzt. Dabei wird der sympathische Teil des vegetativen Nervensystems angeregt und in der Folge kommt es etwa zu einer erhöhten Pulsfrequenz oder zur Kontraktion der Eingeweidegefäße, was zu Verdauungsbeschwerden führen kann. Kurzzeitiger Streß ist nicht bedenklich und Anpassungsmechanismen des Körpers sind wichtig für die Anpassung an unsere Umwelt und Reaktionsbereitschaft. Gefährlich ist allerdings der lange Zeit bestehende Streß, der den Organismus überlastet und zu Auswirkungen auf organischer Ebene führen kann. Typische mit Streß assoziierte Folgen sind Magengeschwür, Reizdarmsyndrom, Kopfschmerzen, Herzschmerzen oder Burnout-Syndrom. In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) wird durch Anamnese, Puls- und Zungendiagnose genau das energetische Muster, die Grundlage der Erkrankung, ermittelt und auf dieser Grundlage kann dann individuell behandelt werden. Typische TCM-Diagnosen bei Streß wären etwa: Leber-Qi-Stagnation oder Nieren-Yin-Mangel. Somit wird zielgerichteter behandelt und nicht, wie oft in der Schulmedizin üblich, auf rein symptomatischer Ebene im Bekämpfen der Symptome. So kann beispielsweise die schulmedizinische Diagnose „Ulcus ventriculi (Magengeschwür)“ in der TCM völlig verschiedene energetische Zustände widerspiegeln z.B. feuchte Hitze in der Milz, Magen-Qi-Mangel mit Kälte, Leber-Qi attackiert den Magen oder loderndes Magenfeuer, die dann mit z.T. völlig unterschiedlichen Methoden behandelt werden können. So werden je nach Muster im Falle der Akupunktur verschiedene Punkte ausgewählt oder unterschiedliche Kräutermischungen für einen Tee zusammengestellt. Es muß hier nicht ausgeführt werden, daß es ganz unterschiedliche Ursachen dieser einen manifesten Erkrankung gibt, die in emotionalen Faktoren, aber auch in falscher Ernährung u.a. liegen können.

Der Wechsel von Spannung und Entspannung spiegelt sich gerade in der traditionellen chinesischen Medizin wie der Wechsel von Yin und Yang und ein Gleichgewicht beider Pole ist essentiell für die Gesundheit. Das Konzept der TCM besteht im Wesentlichen aus präventiven Maßnahmen und streßauslösende Faktoren zu meiden. Aber auch bei bereits bestehenden Beschwerden ist die TCM in der Lage, das harmonische Gleichgewicht wiederherzustellen.

In unserer Gesellschaft ist Streß weit verbreitet, sei es bei der Arbeit mit ständig wachsenden Leistungsanforderungen, existentielle Ängste z.B. Verlust des Arbeitsplatzes oder Sorgen um die finanzielle Sicherheit. Gleichzeitig ist die heutige Welt immer schnellebiger geworden und die Sinne sind durch die Medien wie Fernsehen oder Internet überfordert. Aber selbst in der Freizeit, in der eine Regeneration wichtig wäre,  kommen viele Menschen nicht zur Ruhe. So setzen sich viele Freizeitsportler unter Druck z.B. einen Marathon (in einer angemessenen Zeit) zu schaffen, wodurch der ausgleichende Effekt von Bewegung ein Übermaß erreicht und schädigend wirken kann. Bei anderen sind es viele Termine in der Freizeit oder ein Gehetze von Aktivität, von Party zu Party, die den Schlaf rauben. Auch Genußmittel wie Alkohol und andere Drogen werden oft genutzt, um „runterzukommen“ nach einem stressigen Tag.

Schlechte Essensgewohnheiten angefangen von Herunterschlingen von Speisen zwischen Tür und Angel oder schlicht ungesunder Ernährung mit zu viel Fett oder Süßigkeiten schwächen unseren Körper weiter. Die Nahrungsmittelindustrie reagiert auf das Bedürfnis nach schneller Nahrungsaufnahme mit Fast food, Fertiggerichten, Mikrowellen- und Tiefkühlkost. Dadurch wird unsere Mitte geschwächt. Energetisch heiße Nahrung wie scharfe Gewürze, Kaffee oder Alkohol trocknen unsere Körpersäfte aus, wodurch das Yin geschwächt wird. Zeichen hierfür können je nach den beteiligten Organsystemen Unruhe, Schlafstörungen, Magenschmerzen oder Rückenprobleme sein. Bei einem längeren Bestehen von Streß wird das Yang erschöpft und in diesem Fall können Nahrungsmittel, die energetisch zu stark kühlend sind wie Rohkost, Milchprodukte, Südfrüchte oder Tiefkühlkost unseren Körper weiter schwächen und es kann zur Stagnation und Ansammlung von Feuchtigkeit kommen, was sich in Symptomen wie geistige und körperliche Trägheit, Völlegefühl oder Verdauungsproblemen äußern kann.

Was kann man nun aber tun, um seine Mitte energetisch durch die Ernährung zu stärken? Regelmäßige Mahlzeiten in ruhiger Atmosphäre sind wichtig, um die Mitte zu stärken und Lebensenergie Qi zu sammeln. Besonderer Wert sollte auf das Frühstück gelegt werden nach dem Motto: „morgens essen wie ein Kaiser, mittags wie ein Edelmann, abends wie ein Bettelmann“. Nach der chinesischen Organuhr ist die Magenzeit zwischen 7 und 9 Uhr, die der Milz zwischen 9 und 11Uhr, die in der TCM beide eine wichtige Funktion für die Verdauung haben. Besonders sinnvoll ist wärmende Nahrung wie  Getreide mit Obst gekocht möglicherweise angereichert mit Nüssen. Aber auch herzhafte Gerichte sind denkbar. Bei allen Gedanken ums Essen sollten aber auch kleine Sünden erlaubt sein, denn auch das ständige Beschäftigen mit gesunder Ernährung kann zur Obzession werden und noch mehr Streß verursachen. Eine Besonderheit der TCM besteht darin, daß es auch bei der Ernährung keine generell gültigen Patentrezepte gibt, sondern individuelle Empfehlungen abhängig von der Konstitution des Menschen und Jahreszeit gegeben werden. Gerade bei bereits bestehenden Ungleichgewichten kann eine wichtige Säule der Therapie in besonderen Ernährungsempfehlungen bestehen. Dies ist um so bedeutsamer, weil der Patient sich so selbst helfen kann und Eigenverantwortung für seine Gesundwerdung bekommt.

Außer dem Augenmerk auf die Ernährung und dem Vermeiden von Streß gibt es in der TCM weitere Möglichkeiten, um streßbedingten Krankheiten vorzubeugen bzw. sie zu behandeln. Zu nennen ist hier Qigong, Atemtherapie, Meditation oder die Tuinamassage. Natürlich bilden die wichtigsten Säulen in der TCM-Behandlung meist Akupunktur und, falls bereits tiefere Schichten befallen sind, die chinesische Kräutermedizin.

Zum Schluß noch eine Übung aus dem Qigong, die sich zum Streßabbau eignet, nämlich „Stehen wie ein Baum“. Man steht in bequemer aufgerichteter Haltung mit lockeren Gelenken und stelle sich vor, mit den Beinen wie ein Baum in der Erde verwurzelt zu sein, mit dem Kopf ist man verbunden mit dem Himmel und atme tief ein und aus. Die Lebensenergie kann nun frei fließen.

 

© Dr. rer. nat. Anne-Kathrin Ziebandt 2011

 

 

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